Instituts- und institutionsübergreifende inter- und transdisziplinäre Ausbildung entlang der 4D

Vom 09. bis 11. Oktober 2024 fand in Bad Nauheim die Winter School im Rahmen der Fraunhofer CIMD Nachwuchsförderung statt.

© Fraunhofer CIMD | Stefan Franke
Teilnehmende der Fraunhofer CIMD Winter School während der Vorträge
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Während der Poster-Session bot sich die Gelegenheit eigene Projekte vorzustellen und fachübergreifend zu diskutieren.
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Während der Pausen nutzen die Teilnehmenden die Zeit um Projektideen mit einander auszutauschen und mögliche Anknüpfungspunkte für zukünftige Kooperationen, sei es für das eigenen Projekt oder darüber hinaus, zu diskutierten.

Die dreitägige Winter School orientierte sich an den vier großen Themenfeldern der Fraunhofer-Gesundheitsforschung – Devices, Drugs, Data und Diagnostics, den »4D«. Das Teilnehmendenfeld setzte sich aus Doktoranden und jungen Postdocs aus Forschungsinstitutionen (Fraunhofer Gesellschaft, Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung), dem Universitätsklinikum Frankfurt am Main, der Medizinischen Hochschule Hannover, Universitäten (Goethe-Universität Frankfurt, Justus-Liebig-Universität Gießen,) und aus dem Rheumazentrums Mittelhessen zusammen. Innerhalb der drei Tage haben die Teilnehmenden zahlreiche exzellente Vorträge von internen und externen Experten gehört, eigene Projekte gepitched sowie in interdisziplinären Gruppen existierende Probleme diskutiert und Ideen erarbeitet.

 

Tag 1 „Diagnostics und Devices“.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßten die Geschäftsstelle des Fraunhofer CIMD und des Leistungszentrums Innovative Therapeutika (TheraNova) die Teilnehmenden der Winter School und stellten die jeweiligen Forschungscluster, die Ziele der Nachwuchsförderung, sowie die einzelnen Programmpunkte kurz vor.

Anschließend folgte der erste Vortrag von Prof. Jürgen Schäfer, Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg. Nach einer kurzen Einführung zur Definition und Medical Need bei seltenen Erkrankungen, gab es eine Übersicht zu Routine-Diagnosemöglichkeiten (Bildgebung, Labor, Genetik) und erweiterte Diagnostik bspw. via Nanopore Diagnose und IT-gestützte Auswertung (Find Zebra). Es wurde deutlich, dass seltenen Erkrankungen, abseits des Medical Need für Betroffene, großes Potential bieten herkömmliche Krankheiten besser zu verstehen (Aufklärung von Signalwegen und Deep Phenotyping), Fehldiagnosen zu vermeiden (Awareness für indikationsübergreifende Symptome) und Interdisziplinarität im Gesundheitswesen zu fördern (Analysen und Interpretation verschiedener Fachrichtungen).

Der zweite Vortrag wurde von Maximilian Aretz, Associate im Frankfurter Büro von Covington & Burling LLP und Mitglied der Praxisgruppe "Food, Drug and Device", gehalten. Themenschwerpunkt waren Neuerungen des Medical Research Act. Zunächst wurde ein Einblick gegeben welches gesetzliche Rahmenwerk für medizinische Forschung und den Standort Deutschland nötig sind bzw. gelten. Genauer wurden dann die Struktur der Ethik-Komitees auf Bundes- und Landesebene erläutert, sowie der Mehrwert, der sich durch das geplante, konsolidierte Screening von Ethikanträgen ergibt. Ebenfalls wurden Neurungen für den Radiation Protection Act erläutert, die sich vor allem durch erhebliche zeitliche Einsparungen (single gate Verfahren, standardisierte Klauseln für klinische Studien auf Bundesebene) ergeben.

Nach einer kurzen Kaffeepause folgte ein Vortrag von Dr. Conny Blumert, Leiterin der Arbeitsgruppe Next-Generation Diagnostics am Fraunhofer IZI. Als Einstieg wurde ein Überblick und Hintergrund zu Next-Generation-Sequencing (NGS) und multi-Omics Verfahren gegeben. Hier wurde auf das Potential von multi-Omics (z.B Epigenom, Proteom, Metabolom) eingegangen und die Entwicklung der molekularen Diagnostik erläutert, gefolgt von einer vertieften Zusammenfassung klassischer NGS Methoden und singel cell RNA-Sequenzierung. Abschließend wurde ein spannender Einblick in Spatial Transcriptomics gegeben und welches Potential, aber auch Hürden hier warten.

Im darauffolgenden Beitrag von Marc Kern, Startup-Mitgründer von Implify, wurde ein innovatives Lagersystem für Labore vorgestellt. Einleitend wurden die Personen hinter Implify und die Entstehung vorgestellt. Hier wurde am Beispiel des Startups gezeigt, wie es durch eine Kombination aus Know-How, Bedarf an Digitalisierung und praxisorientierten Lösungen zu einem innovativen und effizienten System gekommen ist. Zunächst als Pilot in lokalen Dental-Praxen kommt Implify Connect, ein RFID-basiertes Lagersystem für Verbrauchsartikel, mittlerweile bundesweit zum Einsatz und wird nun sogar im europäischen Raum etabliert. Kernfunktion ist eine zentrales Verwaltungssystem, das vollautomatisch, nach einmaliger Installation und Einrichtung den Bestand an Verbrauchsartikeln in der Praxis registriert hat und bei Entnahme bzw. definiertem Bedarf nachbestellt. Hierdurch entstehen erhebliche Zeit- und Kosteneinsparungen, sowohl bei den Praxen, als auch bei den Herstellern, die über das System von Implify Connect direkt Bestellungen in das System bekommen. Ein anschauliches Beispiel für Prozessoptimierung mittels Digitalisierung und unbürokratischer Umsetzung.

Nach der Mittagspause, bei der ebenfalls Zeit für erweiterten Austausch und Networking eingeplant war, wurden die Projekt-Pitches der ersten Hälfte der Teilnehmenden durchgeführt. Hier gab es Gelegenheit in aller Kürze Themen und Forschungsbereiche aus dem eigenen Alltag vorzustellen und entsprechend Neugierde auf die Poster anzuregen. Im Hörsaal des MPI erfolgte direkt im Anschluss die erste Poster Session. Diese ermöglichte nicht nur sich über den eigenen Tellerrand hinweg zu informieren, sondern bot auch die Möglichkeit für einem regen Ideenaustausch.

Als Exkurs wurde nach der Poster Session ein Career-Workshop mit Sanofi angeboten. Hier gaben Karin Messer (Human Resources), Thomas Kreuzberg (Laborleitung) und Leonard Blum (Custom Experience Manager) einen kurzen Überblick über Sanofi und verschiedene Studierenden- und Karriereprogramme. Anhand der Lebensläufe von Thomas und Leo wurden die verschiedenen Wege zu Sanofi und den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen, wie Laborleitung oder Custom Experience, also (globaler) Kundendialog, erläutert. In dieser interaktiven und sehr anschaulichen Runde konnten so verschiedene Erfahrungen und Möglichkeiten aufgezeigt werden, die sich nach der zunächst bekannten Welt des Studiums ergeben können.

Der abschließende Vortrag wurde von Dr. Magdalena Figat, Assistenzärztin am Uniklinikum Frankfurt im Bereich Translationale Rheumatologie, Immunologie und Entzündungsmedizin, zum Thema „Psoriasisarthritis - PsA“ gehalten. Einleitend wurde eine Übersicht zu PsA gegeben und welche speziellen Herausforderungen diese immun-mediierte Erkrankung mit sich bringt. Gerade die Überschneidung verschiedener Symptome, die zunächst verschiedene Indikationen vermuten lassen und dadurch auch von unterschiedlichen Fachrichtungen therapiert werden (Dermatologie, Rheumatologie, Gastroenterologie), zeigen klar den hohen medizinischen Bedarf für interdisziplinäre Diagnosen und Austausch, um eine frühestmögliche und zielgerichtete Therapie zu gewährleisten. Besonderes Potential wurde hier in der präklinischen und subklinischen PsA aufgezeigt, wo gerade Pathogenese oder auch Lipidomics-Analysen eine entscheidende Rolle spielen können.

Der Tag fand seinen Abschluss bei einer geführten Tour durch Bad Nauheim, wo die Teilnehmenden auf den Spuren von ikonischen Sängern und anderen Berühmtheiten, die salzhaltigen Quellen und die Badehäuser des Kurortes erkunden durften.

 

Tag 2 „Data“.

Dieser zweite Tag der Winter School begann mit einem Beitrag von Philipp Herrmann, Fraunhofer IMW Digital Health, wobei der Schwerpunkt auf der Betrachtung von Gesundheitsdaten aus ökonomischer Sicht gelegt wurde. Am Beispiel des BMBF geförderten Verbundprojektes Datacare, wurde das grundlegende Potential von Gesundheitsdaten aber auch initial auftretende Herausforderungen (wem gehören Gesundheitsdaten, wer sollte Zugriff darauf haben, was soll/darf damit gemacht werden) herausgestellt. Hierfür wurde im Rahmen des Projektes eine Umfrage bei verschiedenen Stakeholdern durchgeführt und ein möglicher Umgang mit Gesundheitsdaten (bspw. Nutzung, Zugang, Vergütung) abgefragt. Die sekundäre Nutzung von Gesundheitsdaten bekam hier einen besonderen Stellenwert, im Besonderen eine Nutzung zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitssystems und der Versorgung.

Direkt im Anschluss folgte ein Vortrag von Dr. Sebastian Bretthauer, Projektleiter in der Forschungsstelle Datenschutz (FSDS) an der Goethe Universität Frankfurt, der noch einmal einen tieferen Einblick in die Datenschutzverordnung (Hintergrund, Ebenen der Regulation national und auf EU Level) gegeben hat, sowie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Kontext von Gesundheitsdaten beleuchtet hat. Hierbei kam die Verarbeitung der Daten (Limitierungen, Herausforderungen, Befugnisse), sowie Generelles zu Daten speichernden Stellen (Forschungsdatenzentrum / Robert-Koch-Institut) zur Sprache. Abschließend wurde über aktuellste Neuerungen auf europäischer Ebene (European Health Data Space) gesprochen.

Nach einer kurzen Kaffeepause folgte der Vortrag von Dr. Amy Whitbread, Chief Scientific Officer des fem-tech Startup theblood mit Sitz in Berlin. Sie widmete sich sehr eindrucksvoll der Thematik des Gender Data Gap, also der Tatsache, dass die Berücksichtigung von Frauen und deren erhobener (medizinischer) Daten, immer noch bei weitem unterrepräsentiert ist, was zu entsprechenden, essentiellen Lücken in der (medizinischen) Forschung und Versorgung führt. Um hier entgegen zu wirken, hat sich theblood als fem-tech Unternehmen auf die Entwicklung von Menstruationsblut-Test spezialisiert. Menstruationsblut besteht aus einer Vielzahl von Blutbestandteilen, wie z.B. zellulären bis hin zu Stammzellen, gewebespezifisch, einschließlich des Endometriums. Darüber hinaus wurden bis zu 385 menstruationsblutspezifische Proteine im Menstruationsblut gefunden. Ziel ist es so die Pathophysiologie von Frauen genauer zu verstehen und dadurch die Grundlage für neuartige Diagnostik zu ermöglichen, um eine gezielte und verbesserte Gesundheitsversorgung für Frauen zu gewährleisten.

Der abschließende Vortrag von Ralf Heyder, Leiter der Stabsstelle Externe Vernetzung und Strategische Kooperationen der Charité und Leitung der Koordinierungsstelle des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM), zeigte sehr anschaulich den hohen Bedarf an wissenschaftlicher Vernetzung in der deutschen Forschungslandschaft. Hier gilt es im Besonderen zu berücksichtigen, dass es international schon lange solche Strukturen gibt und unter Umständen profitorientierte Unternehmen eine Schlüsselrolle in Bezug auf Gesundheitsdaten einnehmen könnten, die für eine allgemeinnützige Forschung gänzlich unverträglich wäre. Ziel des NUM ist es daher gezielt Infrastrukturprojekte zu fördern und den Austausch von Forschungsprojekten voranzutreiben, wobei hier anwendungsorientierte, multizentrische Projekte im Fokus stehen. Das NUM stellt eine übergeordnete Leitungsstruktur da und erhält so die Eigenständigkeit der einzelnen Forschungseinrichtungen. Durch das Etablieren von Plattformen für den Austausch von klinischen Daten (Sekundärnutzung) und prospektiven Daten (klinische Studien), soll so ein optimaler Austausch von Gesundheitsdaten (Bildgebung, Routine, Bioproben, Omics) gewährleistet werden.

Nach der Mittagspause wurde uns freundlicherweise von Dr. Matthias Heil, Verwaltungsleitung des Max-Planck-Instituts, eine kurze Präsentation über die Entstehung und Geschichte des MPI, sowie eine anschließende Führung durch verschiedene Räumlichkeiten des MPI gegeben. Hier konnten die Teilnehmenden einen kurzen Blick in die verschiedenen Bereiche und Labore des Institutes für Herz- und Lungenforschung erhalten und Forschende zu ihren Arbeiten befragen oder auch ihr Wissen in Kurzvorträgen zu verschiedenen Bereichen der Bildgebung (Kleintier-MRT, Mikroskopie) erweitern.

Zum Abschluss des Tages gab es vor Ort den zweiten Teil der Projekt-Pitches mit anschließender Diskussion und Austausch zwischen den Teilnehmenden an den Postern.

 

Tag 3 „Drugs“.

Am dritten und letzten Tag der Winter School stellte Dr. Aimo Kannt, Leiter des Forschungsbereiches Drug Discovery des Fraunhofer ITMP, in seinem Vortrag „New types of drugs“ verschiedene Arten innovativer Therapeutika vor, die sich teils schon in Anwendung oder in klinischen Studien befinden. Hierbei wurde den Teilnehmenden eine Übersicht zu RNA-basierten Medikamenten (mRNA, siRNA, miRNA), Gentherapie (bspw. CRISPR-Cas9), sowie Zelltherapie (car-T cells) gegeben. Anhand von Fallbeispielen und Marktanalysen wurde zudem das enorme Potential, aber auch Hürden bei der Entwicklung und Anwendung dieser innovativen Therapeutika deutlich. Im Fokus steht jedoch nach wie vor die personalisierte und auf den jeweiligen Patienten und dessen Indikation zugeschnittene Medizin, die mit Hilfe dieser viel versprechenden Bereiche in der Arzneimittelforschung neue Durchbrüche und eine verbesserte Gesundheitsversorgung erhoffen lässt.

Nach der Kaffeepause folgte der letzte Themenblock, bei dem die Teilnehmenden in interdisziplinären Gruppen verschiedene Fragestellungen bearbeiten und konkrete Projektherausforderungen, -probleme und -ideen diskutieren bzw. erarbeiteten sollten.

Insgesamt wurden vier Projektideen aufgrund folgender Forschungsfragen erarbeitet:

-        Wie kann die Gender Gap im Gesundheitssektor geschlossen werden? Wie können Medikamente und deren Wirkung auf Frauen untersucht werden?

-        Inflammatorischer Hintergrund von Rheumatoider Arthritis – was führt zu Schüben? Wie können diese verhindert werden?

-        Entwicklung einer Patch Plattform – Entwicklung eines kleinen Diagnosegeräts, das auf der Echtzeit-Detektion von Biomarkern basiert.

-        Kann KI Krebs bekämpfen? Detektion von Krebs-Markern bevor dieser ausbricht.

Die Winter School war insgesamt eine gelungene Fortführung der Fraunhofer CIMD Nachwuchsförderung für die Vernetzung und Zusammenarbeit der Nachwuchswissenschaftler aus unterschiedlichsten Institutionen über ihre aktuellen Projekte und Themenbereiche hinaus. Das Forschungscluster bedankt sich herzlich bei allen Referentinnen und Referenten für die spannenden Impulse sowie den Teilnehmenden für ihre vielfältigen Projekteinblicke und aktive Beteiligung.

 

© Fraunhofer CIMD | Stefan Franke
Teilnehmende der Winter School 2024 am MPI in Bad Nauheim.